Frankreichs Starphilosoph Bernard-Henri Lévy über den Mord an dem Reporter Daniel Pearl, den Djihad als Business und die Verstrickungen der Atommacht Pakistan
Im Pariser Grandhotel Montalembert bekommt eine Dame mit, dass Bernard-Henri Lévy erwartet wird. Unter dem Akronym BHL kennt ihn in Frankreich jedes Kind. Die Frau im Chanel-Twinset beginnt zu schwärmen: « Er ist schön. Er ist intelligent. Er hat eine junge Frau. Und er ist reich. Er hat wirklich alles! Aber achten Sie bei den Fotos darauf, dass er sein Hemd zuknöpft. Er lässt es immer viel zu weit offen. Ich bin eher eine verklemmte Bourgeoise. Er wird doch nicht entführt worden sein? Schade, dass ich sein neues Buch nicht dabei habe, sonst könnte er es signieren. ,Wer hat Daniel Pearl ermordet? ist großartig. »
Auftritt von BHL himself.
Vanity Fair widmete Ihnen ein achtseitiges Porträt, in dem es heißt, obwohl Sie nicht an Gott glaubten und den Menschen für eine gescheiterte Spezies hielten, seien Sie ein zutiefst glücklicher Mann.
Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich auf andere wirke, aber ich stecke voller Lebenslust und handle überhaupt nicht aus einem Ressentiment heraus. Das ist sicher merkwürdig für jemanden, der den Großteil seines Lebens damit verbringt, das Grauen der unterschiedlichsten Kriege zu sehen und verstehen zu wollen. Ich bin furchtbar pessimistisch, aber gleichzeitig nicht traurig.
Worauf beruht Ihr Pessimismus?
Man kann nicht pessimistisch sein, wenn man an den Krieg denkt, den die Terroristen den Demokraten erklärt haben. Fanatismus und Demokratiehass sind die bedrückenden Tendenzen unserer Zeit. Nach dem historischen und dem roten Faschismus sind wir mit diesem Neofaschismus konfrontiert. Aber es gibt genügend Kräfte, sich dem entgegenzustellen, insbesondere in der muslimischen Welt, als dass wir die Arme hängen lassen sollten.
Sie suchten 1971 zum ersten Mal ein Kriegsgebiet auf: In Bangladesch ergriffen Sie für die Bengalen Partei, als diese sich von Pakistan abspalten wollten. Warum bereisen Sie seit nun über 30 Jahren die Kriegsschauplätze der Welt?
Das ist mein Beruf, die Rolle eines Intellektuellen.
Aber Sie haben diesen Beruf ausgewählt.
Sicher. Die Aufgabe eines Intellektuellen, der von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, liegt darin, dort hinzugehen, wofür sich der Westen und die Medien nicht zwangsläufig interessieren. Ich machte zum Beispiel vor zwei Jahren auf die kriegerischen Auseinandersetzungen im Südsudan aufmerksam, in denen sich Menschen ohne Sinn und Ziel abschlachteten. In Deutschland verfolgt Hans Christoph Buch mit seinen Reisen nach Westafrika und Lateinamerika den gleichen Ansatz.
Was drängt Sie dazu, immer wieder dorthin zu gehen?
Ich sehe nicht jeden Morgen in den Spiegel und frage mich, warum gehe ich zu den Nubas? Sicherlich gibt es Gründe dafür, die im Verborgenen liegen. Aber ich frage mich nicht, warum ich die Dinge tue, ich mache sie.
Sind Sie ein Gegner der Selbstreflexion?
Ich war weder in Psychoanalyse, noch schreibe ich introspektive Romane. Ich bin nicht davon besessen, meine eigenen seelischen Vorgänge zum Zweck psychologischer Selbsterkenntnis zu beobachten. Mein Fall interessiert mich nicht besonders, der von Daniel Pearl umso mehr.
Daniel Pearl, der Südostasien-Korrespondent des Wall Street Journal, wurde im Januar vergangenen Jahres von islamischen Fanatikern in Karatschi entführt und eine Woche später vor laufender Videokamera enthauptet. Für Ihr jüngstes Buch « Wer hat Daniel Pearl ermordet? » haben Sie ein Jahr lang in Pakistan, Indien, Amerika und Bosnien die Spuren des Opfers und seines Mörders verfolgt. Warum haben Sie dieses Verbrechen und dessen Verstrickungen aufdecken wollen?
Ich folgte einer Art innerem Zwang. In dem Augenblick, als ich von Pearls Tod erfuhr, hatte ich das irrationale, unerklärbare Gefühl von einem Mikro-World-Trade-Center. Selbst wenn es auf der einen Seite dreitausend Tote und auf der anderen Seite einen einzigen Toten gab, war es für mich ein vergleichbares Ereignis. Symbolisch gesehen hatte es die gleiche Kraft, die gleiche Schockwirkung.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Die Todesszene. Ich hatte den Eindruck, dass wir auf einmal mit etwas Neuem konfrontiert sind. Diese Inszenierung: die Hinrichtung zu filmen, das Verbrechen nicht zu verstecken, sondern auszustellen. Die islamistischen Entführer haben dieses Videoband an das amerikanische Konsulat von Karatschi geschickt. Ich sah darin eine Botschaft an die westliche Welt: « Seht her, wie wir euch Amerikaner, Juden und Europäer in Zukunft behandeln werden. » In Pakistan kursierte dieses Band zum Verkauf und in manchen Moscheen diente es zur Propaganda.
Spielt es eine Rolle, dass Sie selbst Jude sind und im muslimischen Algerien geboren wurden?
Die Notwendigkeit, die ich sofort empfunden habe, diese Recherche machen zu müssen, geht über meine eigene Biografie hinaus. Aber für mich als Jude ist es nicht Nichts, festzustellen, dass ein Mann zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch wie ein Tier abgeschlachtet werden kann, weil seine Eltern Juden sind. Daniel Pearls letzte Worte auf dem Video lauteten: « My father is a Jew, my mother is a Jew, I m a Jew! »
Samuel P. Huntington stellte die These auf, die zukünftige Weltpolitik werde nicht mehr durch ideologische oder wirtschaftliche Auseinandersetzungen, sondern durch den Kampf der großen Kulturkreise bestimmt. Sehen Sie Pearl in diesem Sinne als Symbolfigur der Konflikte, die uns im 21. Jahrhundert erwarten werden?
Nein. Ich glaube sowieso nicht an Huntingtons « Kampf der Kulturen », dass der Westen mit den nicht-westlichen Kulturkreisen im Krieg steht. Im Westen gibt es genauso Demokraten und Faschisten wie in nicht-westlichen Kulturkreisen Demokraten und Fundamentalisten. Die Auseinandersetzung, um die es wirklich geht, findet auf beiden Seiten statt: Es ist der Kampf innerhalb des Islams zwischen moderaten und radikalen Muslimen. Die Kluft zwischen Moderaten und Radikalen ist viel größer als die zwischen dem Westen und den moderaten Muslimen.
Sie haben bei Ihren Nachforschungen entdeckt, dass sowohl Daniel Pearl als auch sein zukünftiger Mörder Omar Sheikh zur gleichen Zeit Huntingtons « Clash of Civilizations » lasen.
Als progressiver linker Jude und Amerikaner wies Danny diesen blödsinnigen Krieg der Kulturen von sich und glaubte weiter an den Frieden mit dem Islam. Er verabscheute die arrogante, dumme Seite Amerikas und stand anderen Kulturen stets aufgeschlossen gegenüber. Im Alter von dreißig Jahren hatte er Arabisch gelernt. Danny lehnte das prophezeite Unheil ab. Omar hingegen sah darin die Formulierung seiner eigenen Vision von der Welt, nahm den ihm versprochenen Tod an und bejubelte ihn. Man darf nicht vergessen, dass Huntingtons Theorie nicht nur die amerikanischer Ideologen, sondern auch der geheime Wunsch fanatischer Terroristen wie Bin Laden ist.
So sehr Sie sich mit Danny, dem Opfer, identifizieren, so sehr scheint Sie Omar Sheikh, der Killer bzw. Drahtzieher des Verbrechens, zu faszinieren.
Ich muss zugeben, dass mich keiner so beeindruckt wie Omar, dieser scheinbar zivilisierte, sanfte, kultivierte und feinsinnige Mann mit dieser Mischung aus Scharfsinn und Verblendung, Kultur und krimineller Brutalität.
Warum diese Faszination für die Verkörperung des Bösen?
Was ist das Böse? Seit dreißig Jahren setze ich mich mit dieser Fragestellung auseinander. Ich beschäftigte mich mit den Faschisten der 30er-Jahre und mit den Linksradikalen meiner Generation. Heute interessiert mich der radikale Islam: der zeitgenössische Nihilismus, der Wille vieler Menschen, zerstören zu wollen. Omar Sheikh ist ein Prototyp des modernen Terroristen. Nach Pakistan zu reisen ist weit und kompliziert. Aber viel weiter und viel komplizierter ist es, in den Kopf eines Djihadisten zu dringen. Was findet im Kopf des Teufels statt? Was geschieht in der Seele eines Menschen, der eiskalt das Böse will und das schlimmste aller Verbrechen begeht? Wie funktioniert das Teuflische heute? Wer sind diese modernen Besessenen, die denken, alles sei erlaubt, nicht weil es keinen Gott gibt, sondern gerade weil es ihn gibt und seine Existenz sie in den Wahnsinn treibt?
Haben Sie Antworten darauf gefunden?
Wir stehen einem enormen Phänomen gegenüber, das wir nicht eindeutig erklären können. Eines wissen wir: Der radikale Terrorismus ist das Ergebnis der Begegnung des Islams mit dem Westen. Aber warum sind gerade jene jungen Muslime, die mit der westlichen Kultur in Berührung kommen, diejenigen, die plötzlich dem schlimmsten Fanatismus verfallen? Was passiert bei diesem Zusammenstoß? Wovon hängt es ab, ob die Begegnung des Islams mit dem Westen gelingt oder scheitert? Keiner der großen Djihadisten kam aus arabischen oder pakistanischen Madrassen, Religionsseminaren. Khalid Sheikh Mohammed, der Vertraute von Bin Laden, den die Pakistanis im Februar dieses Jahres verhafteten, ging in den Vereinigten Staaten zur Schule. Mohammed Atta kam aus Hamburg. Auch der Drahtzieher von Pearls Entführung und Ermordung, Omar Sheikh, besuchte die London School of Economics. Die meisten stammen aus gehobenen Verhältnissen und absolvierten angesehene Studiengänge in europäischen Hauptstädten. Das bedeutet, dass ihre Überzeugung weder auf Hoffnungslosigkeit noch auf Armut zurückzuführen ist.
Wie erklären Sie sich im Falle von Omar Sheikh den Wandel vom netten Engländer zum radikalen Islamisten?
Nihilismus, Ressentiments, Racheabsichten und ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl: Er, als Brite pakistanischer Abstammung, erlebte das Zusammentreffen dieser zwei Kulturen in sich nicht mit Stolz als Chance, sondern schmerzvoll als Verhängnis. Will man den Moment datieren, der Omar Sheikhs Leben umkrempelte, stößt man auf den Bosnienkrieg. Dieses Ereignis brachte den moderaten Muslim dazu, seinen islamischen Hintergrund und seine Kontakte zum Westen als Gegensatz zu empfinden. In seinem Gefängnistagebuch steht, dass die Erinnerung an ein vergewaltigtes Mädchen in diesem Krieg ihn noch Jahre später bis ins Mark schockierte. Er bezog sich dabei auf ein Archivbild in einem von ihm gesehenen Film, das eine dreizehnjährige verstümmelte Bosnierin zeigt, die von serbischen Milizen vergewaltigt und ermordet wird. Auf einer Studienreise nach Bosnien, die von muslimischen Studenten organisiert wurde, entdeckte Omar Sheikh dann für sich den islamistischen Fundamentalismus. Dabei ist er kein frommer, betender Gläubiger.
Sie führen in Ihrem Buch an, allein die Vorstellung, nach britischem Recht und nicht nach den Gesetzen des Korans, der Scharia, verurteilt zu werden, habe Omar Sheikh bei seinem Prozess in Pakistan außer sich geraten lassen. Können Sie belegen, inwiefern dieser fanatische Djihadkämpfer kein guter Muslim sein soll?
Ja! Für alle, die ihn kennen und mit denen ich sprach, wäre ein frommer Omar eine ziemliche Überraschung. Asad Khan wunderte es, ihn auf der Bosnienreise so selten beten zu sehen. Rhys Patridge erlebte, wie unverfroren er den koranischen Status des « Reisenden » ausnutzte, um sich um seine Gebete zu drücken. Und Peter Gees, mit dem er zwei Jahre lang dieselbe Gefängniszelle teilte, sagte mir: « Er glaubt an die Unsterblichkeit der Seele wie daran, dass ein Ei ein Ei ist. » Omar Sheikh ist ein schlechter Muslim. Ihm geht es nicht um den religiösen Glauben, sondern um Ruhm, Ehre und vor allem um die Herrschaft über andere. Der Djihad ist eine Mafia.
Ist das nicht eine äußerst spekulative Formulierung?
Die einfachen Soldaten des heiligen Krieges sind sicherlich von einem starken Glauben geleitet. Ihre zynischen, skrupellosen Chefs hingegen handeln aus Machtgründen heraus, um sich selbst zu bereichern. Oft sind es einfach nur Gangster. Man nimmt es viel zu sehr für bare Münze, wie sie sich selbst als Gottesfanatiker darstellen. Im Westen haben wir – wie die arabische Welt – das Bild von einem Bin Laden, der als saudischer Milliardär seinen Reichtum auf dem Altar der arabischen Vergeltung geopfert hat. Das vertuscht vollkommen die Tatsache, dass El Kaida eine Maschine ist, ein gigantisches, den gesamten Erdball umspannendes Netz, um Geld zu machen. Dazu zählen Schutzgelderpressungen, Steuern auf Glücksspiele und auf den afghanischen Drogenhandel sowie ausgeklügelte, fast nicht nachweisbare Finanzbetrügereien, die auf Kreditkartenfälschungen beruhen.
Haben Sie für Ihre Hypothese, dass Bin Laden sich vorwiegend bereichern will, Belege?
Inzwischen ist allgemein bekannt, dass Börsenmakler, die mit Bin Laden in Verbindung standen, durch Put-Optionen auf Aktien der United-Airlines und American-Airlines den Anschlag vom 11. September finanziert haben. Die Vorwegnahme des Ereignisses, seine Virtualität, hat das Ereignis selbst, seine Realisierung, erst ermöglicht. Diese vollkommen neue Erscheinungsform der politischen Kriminalität kommentierte Bin Laden am 28. September 2001 in einer Tageszeitung in Karatschi: « El Kaida verfügt über viele modern gesinnte, gut ausgebildete junge Menschen, die die Schwachstellen im westlichen Finanzsystem kennen und auszunutzen wissen. » Damit ist alles gesagt.
Was haben Sie in Dubai, der arabischen Hauptstadt des Geldes, entdeckt?
Ich fand heraus, dass Anschläge von El-Kaida-Kämpfern, zum Beispiel gegen indische Armeeoffiziere in Kaschmir, vergütet werden. Der Preis variiert je nach Dienstgrad des Opfers. In Dubai sah ich wechselstubenartige Anlaufstellen für zukünftige Selbstmordattentäter, in denen sie ihre Bewerbungsunterlagen abgeben können. Der Selbstmordattentäter hat einen Preis, der im Voraus zwischen ihm, der Organisation und der Familie ausgehandelt wird. Vertraglich wird festgelegt, welche Summe die Hinterbliebenen monatlich, lebenslang zur Sicherung halbwegs akzeptabler Lebensbedingungen erhalten werden. Wenn der Vertrag gut verhandelt wird, ist er an den Inflationsindex gekoppelt, beziehungsweise in harten Devisen kalkuliert. Ich stieß auf den Fall eines afghanischen Familienvaters, der als Flüchtling in der Umgebung von Dubai lebt und nach dem Tod seiner zwei Kinder in Tora Bora 2001 eine Geldsumme erhielt, mit der er eine Metzgerei eröffnete.
Sie haben die Recherchen von Pearl im islamistischen Milieu fortgesetzt. Was haben Sie herausbekommen?
Daniel Pearl war auf der Spur von Richard Colvin Reid, jenem Mann, der am 22. Dezember 2001 mit Sprengstoff in den Turnschuhen das Flugzeug von Paris nach Miami bestieg. Pearl beging den Fehler, Omar Sheikh zu trauen, der ihm versprach, ihn zu Reids Guru zu bringen, zu Mubarak Ali Shah Gilani, dem Anführer der Terrorsekte Jamaat ul-Fuqra, die auf der Liste der terroristischen Organisationen des FBI steht. Am vereinbarten Tag wurde Pearl nicht zu Gilani gebracht, sondern entführt. Daniel Pearl ist nicht gestorben, weil ein paar Gottesfanatiker einfach durchgedreht sind. Bei seiner Ermordung handelt es sich vielmehr um ein Staatsverbrechen. Der pakistanische Präsident Pervez Musharraf sagte einmal über Daniel Pearl, er sei « over intrusive » gewesen, zu aufdringlich, und später, er habe sich leider in den Fäden des Geheimdienstes verstrickt. Pearl hatte in seinem letzten Artikel vom 24. Dezember 2001 aufgedeckt, wie Hamil Gul, der ehemalige Leiter des pakistanischen Geheimdienstes ISI, Ende August 2001 in Kabul den Islamisten Bashiruddin Mahmoud traf, der bis 1999 dem pakistanischen Kommissariat für Atomenergie vorstand. Dieser renommierte Wissenschaftler und Gründer einer Fabrik zur Herstellung von Plutonium hatte wiederum Anfang August 2001 Bin Laden in Kandahar getroffen. Pearls Artikel erregte in Amerika kein großes Aufsehen. Jedoch alarmierte er in Karatschi jene, denen nicht daran gelegen war, dass die Kontakte zwischen El Kaida, dem pakistanischen Geheimdienst und einem Atomwissenschaftler offen gelegt wurden.
Gibt es konkrete Beweise für diese Verstrickungen?
Ja, einen weiteren Fall. Mahmouds Chef, der Wissenschaftler Abdul Qadir, gewissermaßen der Oppenheimer Pakistans, der wahre Vater der am 28. Mai 1998 erstmals getesteten Bombe, ist auch ganz offiziell Mitglied der Terroristenorganisation Lashkar-e-Toiba. Diese Organisation bildet mit der Harkat den engen Kreis um El Kaida. Man muss wissen, dass Abdul Qadir von 1986 bis 1994 eine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Iran der Ajatollahs eingeleitet hat. Er begab sich auch mehrmals offiziell als Tourist nach Nordkorea, wo er, der Spezialist für die Herstellung von Plutonium, Freunde behalten hat. In Lahore und Karatschi ist es ein offenes Geheimnis, dass zwischen Pakistan, El Kaida und Nordkorea ein Tauschhandel von Know-how gegen Missiles betrieben wird.
Eine entsetzliche Vorstellung.
Ja, denn diese islamistischen Wissenschaftler betrachten die pakistanische Atombombe nicht als Besitz Pakistans, sondern der gesamten islamischen Welt, der Ummah, der Gemeinschaft der Gläubigen. Man stelle sich den Albtraum vor, den sie sich herbeisehnen! Für diese Leute wäre es kein Hochverrat, Bin Laden mit Massenvernichtungswaffen auszustatten, sondern ein Treueakt, fast ein Zeichen der Frömmigkeit.
Der pakistanische Präsident Musharraf behauptet, er habe die volle Kontrolle über die nukleare Befehlskette und über die strikte Trennung zwischen Materiallager und Abschussbasen.
Pakistan ist heute der größte Schurkenstaat der Erde. Zwischen Islamabad und Karatschi bildet sich ein veritables schwarzes Loch des internationalen Terrorismus, in dem eine Atmosphäre der Apokalypse herrscht. Man muss nicht gleich mit dem Schlimmsten rechnen und von einer Katastrophe ausgehen. Doch da die Bombe von Islamisten erfunden wurde, verfügen sie schon einmal über den Zugangscode zu den Übermittlungssystemen und den Sprengköpfen Pakistans. Die Bedrohung ist da!
Was kann dagegen unternommen werden?
Ich denke, die Amerikaner und westlichen Diplomaten irren sich, wenn sie Pakistan für einen stabilen Staat halten, den Musharraf unter Kontrolle hat. Es handelt sich wieder einmal um eine historische Fehleinschätzung. Trotz antiterroristischer Kooperationen bleibt Pakistan ein gefährliches Land. Selbst wenn seine Regierung dem Islamismus den Prozess machen will, indem sie Islamisten – am Beispiel von Omar Sheikh – zunächst zum Tode verurteilt. Wenn man die Liste der so genannten « Schurkenstaaten » von Bush junior betrachtet, fällt einem auf, dass es zufällig dieselben wie von Bush senior sind. George W. Bush ist zehn Jahre zu spät dran. Er muss seine Liste aktualisieren. Die Welt und ihre Bedrohungen haben sich verändert. Die Gefahr geht nicht mehr von Libyen, dem Iran und Irak aus, sondern von Pakistan, Saudi-Arabien, dem Jemen und Nordkorea. Die Sache drängt mehr als jemals zuvor, da wir vor der großen Herausforderung des beginnenden Jahrhunderts stehen.
Sie haben gesagt, der Kaschmirkonflikt zwischen Indien und Pakistan sei brisanter als das Nahostproblem. Warum?
Meine Äußerung soll dazu provozieren, nicht nur auf Palästina fixiert zu sein. In Europa unterliegen wir einer Art Pawlow schem Mechanismus, den Islam mit der arabischen Welt gleichzusetzen. Dabei verlieren wir den asiatischen Islam aus den Augen. Von Pakistan, Afghanistan, Indonesien und den Philippinen aus gesehen steht der palästinensische Konflikt viel weniger im Zentrum, als man es von Paris oder Berlin aus denkt. Die Turbulenzen im Inneren der muslimischen Welt kommen in Kaschmir zum Vorschein. Dort steht man mitten im Auge des Zyklons.
Wie haben Sie den Mut aufgebracht, Binori Town in Karatschi zu betreten, jenes sunnitische Religionsseminar, das Taliban-Würdenträger ausbildete und Bin Laden versteckt haben soll?
Das ist nicht Mut, da hineinzugehen. Wie soll ich sagen . ich habe dieses Jahr in einem merkwürdigen Zustand verbracht: sozusagen in Loslösung oder Abwesenheit von mir selbst mit diesem obsessionellen Willen, ans Ende dieser Geschichte zu gelangen.
Haben Angst oder Vorsicht Sie nie gebremst?
Die Angst war immer da. Binori Town ist wie ein eigenes Dorf in der Stadt, groß. Man verliert sich dort. Als ich es betrat, war mir vollkommen bewusst, dass ich der erste muslimische Fremde, noch dazu der erste Jude war, der dort eindrang. Natürlich ist dieses Gefühl nicht beruhigend und Vertrauen erweckend. Aber dass es einen bremst? Nein.
Ihr Vorgänger wurde bei seinen Recherchen ermordet. Welche Sicherheitsvorkehrungen haben Sie getroffen?
Meine Vorsichtsmaßnahmen bestanden darin, meine Aufenthalte zu zerstückeln und die Recherche nicht in einem einzigen Zeitraum durchzuführen. Ich blieb nie länger als zehn oder 15 Tage. Außerdem hatte ich das Glück, Franzose und Schriftsteller zu sein. Wenn ich Amerikaner und Journalist gewesen wäre, hätte ich Pearls Recherche nicht fortsetzen können.
Nach einer Lobeshymne auf Daniel Pearl bezeichnen Sie sich in Ihrem Buch selbst als seinen « Bruder », als « Gleichgesinnten ». Deutschsprachige Rezensionen kreideten Ihnen an, dass Sie selbstgefällig in dieser Rolle aufgingen, ihn als Marionette instrumentalisierten und sich seines Martyriums bemächtigten.
Zwischen der Hommage an Danny und mir sind im Buch bestimmt zwei Seiten. Dieser Vorwurf überrascht mich. Den Eltern von Pearl wäre es nie in den Sinn gekommen, dass ich ihren Sohn benutze und selbst zu präsent bin. Judea und Ruth Pearl verstehen mein Buch ausschließlich als Ehrerbietung an ihren Sohn und die Werte, die er verkörperte.
Le Monde pries Ihr Buch als « überzeugend und verstörend », Le Point als einen « prächtigen und Furcht erregenden Bericht » an. Le Figaro verglich Sie mit Norman Mailer und James Ellroy. Auf Grund der an « Heiligsprechung grenzenden » Berichterstattung wurde im Ausland an Ihrem Beispiel die Beziehungskorruption und Machtballung des französischen Literaturbetriebs angeprangert.
Diese Behauptung zeugt eher davon, dass sowohl die französische Presse als auch meine Situation falsch eingeschätzt werden. Wenn mich das System hier angreifen will, macht es das. Vor sechs Jahren ist die gesamte Presse über meinen Film « Der Tag und die Nacht » hergefallen, den ich mochte und noch immer sehr mag. Diese einhellig vernichtende Kritik fand ich ungerecht und hat mich sehr verletzt. Ich glaube nicht, dass mein Einfluss ausreicht, als dass ich den Zeitungen ihre Ansichten über mich diktieren könnte.
Meinen Sie, dass Ihr mondänes Image möglicherweise provoziert?
Ich bin wie ich bin. Ich stehe dazu: Ich führe ein Leben im absoluten Wohlstand. Die, die es stört, nerve ich damit. Ich entspreche vielleicht nicht dem klassischen Profil eines engagierten Intellektuellen. Aber ich werde mich nicht ändern und anfangen Theater zu spielen, um in ein bestimmtes Bild zu passen. Ich stehe vollkommen zu meinen Eigenheiten und zu meiner eigenen Wahrheit.
Ihnen wurde Narzissmus und Ich-Besessenheit vorgeworfen.
Ja, jeder Schriftsteller ist ein bisschen narzisstisch. Wenn die Kritik sagen wollte, dass ich kein gewöhnlicher Reporter bin, hat sie Recht. Was ich schreibe ist Literatur, subjektiv.
Unlängst haben Sie im Pariser Wachsfigurenkabinett, dem Grévin Museum, Ihr eigenes Monument errichtet bekommen. Wie war es, der Bernard-Henri-Lévy-Statue gegenüberzustehen?
Ich habe nichts gefühlt.
Das Gespräch führte Christine Velan.
Zur Person // BERNARD-HENRI LéVY wurde 1948 in Algerien geboren und lebt in Paris. Sein Vater hinterließ ihm ein beachtliches Vermögen. Er ist mit der glamourösen Schaupielerin Arielle Dombasle verheiratet. In Frankreich gilt er als einer der namhaftesten Intellektuellen und insbesondere als engagierter Experte des Nahen und Mittleren Ostens. In Deutschland erschien sein jüngstes Buch « Wer hat Daniel Pearl ermordet? » im Econ Verlag.
DER PHILOSOPH Henri Lévy tauchte vor fünfundzwanzig Jahren im Sartre-Umfeld auf. Er zählt zu den führenden « nouveaux philosophes », die sich Ende der 70er-Jahre vom Marxismus und vom revolutionär-utopischen Denken lautstark verabschiedeten. In seinem ersten Buch « Die Barbarei mit menschlichem Gesicht » (Rowohlt Verlag 1985) zeigte er auf, inwiefern der Marxismus das Paradigma eines anderen Totalitarismus war. Von seinen philosophischen Büchern wurde zuletzt seine Biografie über Jean-Paul Sartre ins Deutsche übersetzt. « Sartre, der Philosoph des 20. Jahrhunderts » (Hanser Verlag 2001).
DER GLOBETROTTER bereist seit über dreißig Jahren Kriegsschauplätze, um den Horror der Barbarei höchst medienwirksam anzuklagen. 1992 harrte er als Jude im belagerten Sarajevo an der Seite der bosnischen Moslems aus.
DER FILMEMACHER drehte « Der Tag und die Nacht » mit Lauren Bacall, Alain Delon und Arielle Dombasle. Die französische Kritik stufte den Streifen 1997 einhellig als « schlechtesten französischen Film aller Zeiten » ein.
LéVY WAR PRÄSIDENT des Programmbeirates von Arte, ist Filmproduzent von « Les Films du Lendemain », Herausgeber einer Buchreihe des Verlags « Grasset » sowie der Literaturzeitschrift « La règle du jeu ».
Was geschieht in der Seele eines Menschen, der eiskalt das schlimmste aller Verbrechen begeht?
George W. Bush ist zehn Jahre zu spät dran. Die Welt und ihre Bedrohungen haben sich verändert.
Quelle: Berliner Zeitung