Der Jerusalemer Maler Jacob Pins über seine Kindheit in Deutschland und seine obsessive Liebe zum japanischen Pfostenbild
Asiatische, kegelförmige Lampen aus hellem Reispapier hängen von der Decke. Türen sind flaschengrün gestrichen, Sessel altrosa bezogen, Teppiche reich an Ornamenten. In allen Nischen des weitläufigen Wohnzimmers stehen goldglänzende Buddhastatuen und schwere, steinerne Buddhaköpfe. Eine philippinische Haushälterin geht auf leisen Sohlen, und eine grau melierte Katze schleicht durch die Räumlichkeiten. Der in Westfalen aufgewachsene deutsche Jude Jacob Pins lebt inmitten von Jerusalem in seiner eigenen Sammlung ostasiatischer Kunst, die als die bedeutendste Israels gilt. Manchmal wundere er sich selbst, wie es ihm gelingen konnte, sie zusammenzutragen. « Denn hier Ostasiatika zu sammeln, ist wie Judaika in Nordghana zu sammeln », witzelt Jacob Pins. Seiner Aussprache des Deutschen ist noch heute die gedehnte, westfälische Sprechweise anzuhören.
Den Ort seiner Kindheit, Höxter, suchte er zum ersten Mal 1959 kurz wieder auf. Er fühlte damals, dass seine Jugend abrupt abgebrochen worden war und er sie dort gelassen hatte. Noch aus der Eisenbahn sah er hinaus. « Alles schien so klein. Ich war wahnsinnig enttäuscht und wusste, da nichts mehr zu suchen zu haben. Irgendwie erleichterte es mich, ich lachte innerlich, alles war so unsinnig. » Die kleine Stadt habe gar keinen Eindruck auf ihn gemacht.
Schon als Kind sammelte er, noch in Deutschland, Briefmarken, Münzen und Bücher. Der 83-Jährige denkt, « von Natur aus » Sammler zu sein. Nach dem frühen Beschluss später Maler zu werden, fing er an, auch Kunstreproduktionen zu sammeln. Als er 1936 von Deutschland nach Palästina floh, bestimmten andere Sorgen das Leben. « An Briefmarken konnte ich nicht mehr denken. » Im Kibbuz nahm er jede Arbeit an, die angeboten wurde, auch im Straßenbau. « Orangenhaine waren unsere Haupteinnahmequelle. Als Konkurrenten hatten wir die Araber, die viel billiger arbeiteten und zudem noch mehr getriezt wurden als wir. » Fünf Jahre lebte Jacob Pins im Kibbuz. 1939 bekam er dort Kinderlähmung, die er mit seiner ihn bezeichnenden Haltung « eine Invalidität kann ich mir nicht leisten » bekämpfte. « Ich bin schön wieder gelaufen. Es war schwer, aber es ging. » An allen Treppen musste ein Stock für ihn liegen, damit er sie hinauf und hinunter kam. Nach zwei Jahren konnte er sich soweit wieder bewegen, dass es ihm möglich war, leichte Arbeiten zu verrichten. Das Bein sei ihm sicher behilflich gewesen, um aus dem Kibbuz zu kommen. « Ich konnte sagen, jetzt möchte ich Kunst studieren. »
Erst als er den Kibbuz wieder verlassen hatte, begann er erneut zu sammeln. Da er arm « wie eine Kirchenmaus » war, sparte er am Essen. Nach ein paar Jahren konnte er nichts mehr kauen. « Im Land der Zitrusfrüchte hatte ich einen echten Skorbut. » So habe er damals gelebt, als er in Jerusalem seinen ersten japanischen Holzschnitt in einer Galerie entdeckte, die kaum als solche bezeichnet werden konnte. Jacob Pins sah jenen in einem nicht mehr so guten Zustand befindlichen Farbholzschnitt an, der sich später als Fälschung erweisen sollte, und war begeistert. Ihn faszinierte, was die Japaner mit einem einzigen Stück Holz anzufangen wussten. Dieser Fund habe den Beginn seiner heutigen Sammlung initiiert. Jacob Pins lacht wieder: « Am Anfang hatte ich eine herrliche Sammlung an Fälschungen. » Auf seinen Tel Aviver Streifzügen kaufte er fast alles, was ihm ins Auge fiel. Für zwanzig Dollar erwarb er einen unter einer Dreckschicht verborgenen Buddha aus dem 9. Jahrhundert, den er nur mit seiner Spucke zu reinigen vermochte. Durch Reisen, Händler, Kataloge und Beziehungen fand er im Laufe der Jahre weitere schöne Stücke. Als obsessiver Sammler stieß er manchmal auf Unverständnis. Im Testament seines Onkels aus England wurde er sehr schlecht bedacht. « Er muss sich gesagt haben, der dumme Junge gibt doch nur alles für diese japanischen Tapeten aus. » Anlass zu jener Mutmaßung mag Jacob Pins Reise 1951 nach London gewesen sein. Nach 15 Jahren kam er erstmalig wieder nach Europa. Als sein Onkel mit ihm ins British Museum gehen wollte, entdeckte er auf dem Weg in einem Schaufenster einen japanischen Holzschnitt, der zwei Pfund kostete. Das entsprach ungefähr der Hälfte dessen, was Jacob Pins insgesamt besaß. Sein Onkel sei entsetzt gewesen, als er den Holzschnitt kaufte. Jacob Pins antwortete lediglich: « Ich sammle die! » Am folgenden Tag gab sein Onkel ihm Taschengeld, und er zog alleine los. Jeden Tag brachte er Neuerwerbungen mit, was seinen Onkel zunehmend verstimmte. Er habe ihm seine Sammelleidenschaft nie verziehen.
Inzwischen gilt Jacob Pins als der Experte japanischer Pfostenbildern. Er publizierte 1982 « The japanese pillerprint », ein maßgebliches Handbuch über jene Holzschnitte von 1740 bis 1840 mit besonderem Format: 70 cm Höhe und nur 12 cm Breite. « Durch meine Veröffentlichung sind die Preise leider so angestiegen », sagt er, « dass ich kaum mitkomme. » Noch heute, wenn er ein schönes Stück sehe, müsse er es haben. Das Telefon klingelt, Jacob Pins, der soeben einen deutschen Satz beendet hat, spricht fließend auf Englisch mit dem Anrufer weiter.
Der Sammler Jacob Pins, der schon als Zwölfjähriger beschlossen hatte, Maler zu werden, konnte nicht mehr in Deutschland Kunst studieren. Er lernte in Jerusalem an der « Bezalel Academy of Art » bei einem Schüler von Lovis Corinth, dem Expressionisten Jakob Steinhardt. Während seines Studiums sei es ihm wie dem « armen Poeten in Spitzwegs wunderbarem Bild » ergangen. Die Kibbuzbewegung hatte sich mit der Begründung, man bräuchte Kühe und keine Maler, geweigert, ihm ein Stipendium zuzugestehen. Jacob Pins lebte in einem winzigen Zimmer von 2,30 mal 2,40 Meter ohne elektrisches Licht. « Ich hätte auch einen Regenschirm aufspannen können. » Das Wasser lief die Wände hinunter, ins Bett hinein. Das Sonderbare war, dass er damals glücklich gewesen sei. Er stand morgens um sieben Uhr auf, und schon bald malte, zeichnete und holzschnitzte er. Mit Hilfe einer Petroleumlampe arbeitete er bis spät in die Nacht hinein. Als Arbeitsmaterial erhielt er von Tischlern für seine Holzschnitte Holzabfälle. Später kaufte er über Zeitungsanzeigen Möbel, die er zerlegte. Auf billige Weise kam er zu großen Planken, « denn in der Wüste wachsen nicht gerade viele Bäume ».
Die Lichtverhältnisse des Nahen Ostens erschwerten Jacob Pins anfänglich das Malen. « Das Licht fraß alles auf. Es war so grell, dass keine Farbe blieb. Die Landschaft setzte sich nur aus einem blauen Himmel über einer hellgrauen Ebene mit schweren Schlagschatten zusammen. Von der so genannten Farbigkeit des Orients war nichts zu sehen. » Jacob Pins sehnte sich nach einem saftigen Grün und dem Rot der Dächer.
Als er nach Jahren Europa wieder besuchte, sah er bei der Flugzeuglandung den Unterschied: « Dieses Grün! Und die Farben von London: Silbergrau auf Silbergrund, herrliche Rot- und Weißtöne! » Später sei er mit Israels Landschaft nur fertig geworden, indem er ihre Farben übersetzte. Ein Braun musste Rot, ein Grün stärker und reiner werden. Jacob Pins glaubt, dass es kein Zufall sei gerade mit seinen schwarz-weiß Holzschnitten Erfolg gehabt zu haben, die inzwischen in den wichtigsten Sammlungen vorzufinden sind (u.a. The Metropolitan Museum of Art, New York; The Museum of Modern Art, New York; Ludwig Museum, Köln; The British Museum, London; Puschkin Museum, Moskau).
Fragt man Jacob Pins, wie stark er sich von der jüdischen Kultur geprägt sieht, weist er darauf hin, dass sein erster Linolschnitt Goethes Porträt darstellte, dessen 100. Todestag man 1932 feierte. Auch auf derzeitige Spannungen in Israel angesprochen, zitiert Jacob Pins sogleich den Studenten Brander aus Goethes Faust « Politisch Lied, ein garstig Lied ». Er sei von der deutschen Kultur « durchtränkt ». « Wir Juden waren so assimiliert. Meinem Vater wurde im Ersten Weltkrieg als Offizier das Eiserne Kreuz verliehen. Ich habe mich als Deutscher gefühlt. Hitler hat mich eines Besseren belehrt. » Der Vater erkannte sofort, dass « Hitler nicht einfach vorübergeht ». Hätte er die Möglichkeit gehabt, wäre Jacob Pins schon 1934 nach Palästina ausgewandert. Seine Eltern ließen den 14-jähriger Bruder, auch wenn es ihnen schwer fiel, nach Amerika gehen, wo 400 Familien jüdische Kinder aus Deutschland zur Rettung aufnahmen.
Zeitgleich verließ Jacob Pins das Elternhaus, um zunächst eineinhalb Jahre lang in Stettin eine zionistische Ausbildungsstätte « Hachschara » zu besuchen, die ihn in einer Art Wohngemeinschaft auf das Leben in Palästina vorbereiten und in der er eine nützliche Arbeit als Gärtner oder Tischler erlernen sollte. Da es der Kunst am nächsten stand, ließ er sich zum Anstreicher ausbilden. Wieder fällt Jacob Pins eine seiner unzähligen Anekdoten ein: « Ein Malermeister stellte vier Jungs von uns insgeheim an, was natürlich gefährlich war. Wir wurden fast alle nicht bezahlt. Als der Meister einen Auftrag bei einem alten Nazi bekam, durften zwei, die etwas jüdisch aussahen nicht mit. Die anderen, die sehr christlich aussahen, deutsch, konnten hingeschickt werden. Der Meister machte sich einen Spaß daraus, indem er dem Hausherrn sagte: « Seien Sie vorsichtig, der eine ist bei der SS. » Herr Pins lacht laut. Daraufhin springt ihm seine Katze auf den Schoss, und er streichelt das schnurrende Tier.
In Berlin befand sich in der Meinekestraße jene Organisation, die von der britischen Regierung ausgestellte Zertifikate für Palästina verteilte. Da man von Zeit zu Zeit kleine Gruppen herüberschickte, konnte er rechtzeitig auswandern. « Meine Eltern hatten vor, nachzukommen. Leider haben sie es nicht mehr geschafft. Als der Krieg ausbrach, war die Falle zu. » In den Holzschnitten « Totentanz » und den (sich im British Museum befindlichen) fünf Blättern zur « Apokalypse » verarbeitete er 1945 und 1946 die Ermordung seiner Eltern. Wie die meisten jüdischen Familien aus Westfalen hatte man sie 1941 nach Riga geschickt, wo sie im Ghetto leben mussten. Als die Russen sich näherten, wurden sie erschossen oder vergast. Jacob Pins stellte Nazis in seinen Arbeiten nie personifiziert dar, sondern wählte Skelette als Metapher. Kunst müsse abstrahieren, eine allgemein gültige Form finden und nicht dokumentieren. « Hätte ich Hakenkreuze gezeigt, wäre es billiger Journalismus, einfach banal! » In seinem Werk hat er die Shoa als Thema nicht wieder aufgreifen wollen. « Man kann nicht nur in der Vergangenheit leben. » Er gesteht es anderen zu, die nicht anders können. Doch er sei immer bemüht gewesen, sich zu erheben und darüber zu stehen.
Bittet man Jacob Pins sein heutiges Verhältnis zu Deutschland zu beschreiben, antwortet er, mit seiner Landschaft habe er kein Problem. Sie habe ihm nichts getan, ebenso wenig die Sprache. Auch mit jungen Leuten habe er keine Schwierigkeiten. « Die ich traf, waren alle offen, neugierig und stellten intelligente Fragen. Eine wunderbare Jugend. » Es gebe keine Schuld, die man auf seine Kinder übertragen könne. Jedoch bei Menschen seines Alters, frage er sich immer: « Wo wart ihr während des Krieges? Habt ihr meine Eltern umgebracht? » Denn natürlich sei es keiner gewesen, das sei sein Problem. Gleichzeitig räumt er ein, von der deutschen Kindheit zutiefst beeinflusst zu sein. Die Umgebung und sein Vater vermittelten ihm Selbstdisziplin, Genauigkeit und einen gewissen Ordnungssinn. Er hasse nichts mehr, als ein wildes Durcheinander.
Erneut klingelt das Telefon. Jacob Pins spricht diesesmal auf hebräisch weiter. Als er das Gespräch beendet hat, bittet er die Haushaltshilfe, das Essen zu servieren. Mitten in Jerusalem sitzt man an einem deutschen Mittagstisch. Grünkohl mit Rauchentchen könne er in Israel leider nicht bekommen. Jacob Pins isst Bohnen, Weißkohl und Kartoffelpuffer. Er erinnert sich: « Meine Mutter kochte oft graue Erbsen mit sauersüßer Sahnesoße, auch Stielmus. Wunderbar schmeckte das. Das habe ich nie wieder gegessen. »