Catégorie : Theater

Free Speed – eine Tragikomödie

Tragikomödie für 3 D, 5 H, 1 Kind / 1 Dek.: Peter, Autospeaker / Lillian, Autospeakerin / Tom und Jupp, Vorstadtjugendliche / Thronfolger von Togo / Frau / Mädchen neureicher Eltern / Autonarr und Beifahrerin  / zwei Stimmen für Lautsprecherdurchsagen

UA : Theater Halle 7 München, Regie: Thomas Haaf

Jedes Jahr muss die Autoindustrie ihre neuen Modelle vorführen und so raffiniert wie möglich bewerben. Was zählt am Markt? Power und Sex. Was ist die logische Folge? Das Auto soll selbst zum Sexualobjekt werden, also identifiziert man Metall, Motor, vier Räder und alles andere mit weiblichem Sex, der zur Verfügung steht – man muss ihn nur zu nehmen und zu behandeln wissen. Mit diesem Werbekonzept geht die NM-Firma auf die Automesse. Wenn ein Interessent in dem ausgestellten NM-Wagen Platz nimmt, wird er von einer einschmeichelnden weiblichen Stimme, die das Auto selbst ist, begrüßt und die Vorteile des Autos/der verfügbaren Frau werden genauestens erläutert. So lockt man Kunden, Interessenten und vielleicht auch Käufer. Jede Frage nach Technik, Bequemlichkeit und allen Details dieses neuen Objekts der Begierde wird detailliert und liebevoll beantwortet. Dass damit Platz gemacht ist für Neurotiker, Psychopathen, Sexmaniacs, aber auch Gehemmte und Zögerliche, ist Sinn und Absicht des Programms. Es hat nur einen Haken:

Lillian, die in einer Sprechkabine sitzt und auf all das als das verkörperte Auto reagieren muss, ist ein Mensch und kein Computer. Piet, der das Werbeprogramm völlig verinnerlicht hat, ist den Anforderungen letzten Endes aber nicht gewachsen. Er bricht zusammen. Lillian wird immer motorischer, reagiert nur mehr wie ein Computer. Brave new world?

Text: Marek Koterski für my / Theater-Korrespondenz. Mykenae Verlag

Free speed

Figuren: Piet, Autospeaker / Lillian, Autospeakerin / Tom und Jupp /Vorstadtjugendliche / Thronfolger von Togo / Frau / Mädchen neureicher
Eltern / Autonarr und Beifahrerin  / zwei Stimmen für Lautsprecherdurchsagen

Leseprobe
Szene 1

Über Lautsprecher erklingt erst ein Gong, dann hallend eine Durchsage.
Polizei: Achtung! Achtung! Hier spricht die Polizei. Wir möchten Sie mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut machen. Im Falle der Lautsprecher-durchsage „Alarmstufe 1“ bewahren Sie bitte die Ruhe, im Falle der Lautsprecherdurchsage „Alarmstufe 2“ verlassen Sie bitte die Halle.

Kurzer, harter Ton, Ende der Durchsage.

Peter:            Derartigen Spaß bringt das. Ich habe nicht einmal das Gefühl zu arbeiten. Das ist der lustigste Job, den ich je gemacht habe.

Öffnen einer knarrenden Holztür.

Laura:             Ein Hühnerstall!
Peter:              Wieso? Eine ganz normale Arbeitskabine. 
Laura:             Nicht ein einziges Fenster! (zu sich, leise) Dann bin ich eben vierzehn Tage in einer Holzkiste eingesperrt.

Luftzufuhr einer Klimaanlage.

Peter:              Die Klimaanlage hier liefert Frischluft. Was brauchst du Fenster? (begeistert) Du hast den Bildschirm. Und hier: (euphorisch) Computer, Kopfhörer und Mischpult.

Laura:             Ich habe noch nie auf einer Automesse gejobbt.
Peter:              Am Anfang fehlte mir auch das Tageslicht. Ich habe dann einfach angefangen, mir regelmäßig eine Portion Licht von der Sonnenbank abzuholen. (Peter lacht.) Irgendwo muss man Energie tanken.
Peter:             Am Anfang fehlte mir auch das Tageslicht. Ich habe dann einfach angefangen, mir regelmäßig eine Portion Licht von der Sonnenbank abzuholen. (Peter lacht.) Irgendwo muss man Energie tanken.
Laura:             Sieht alles ziemlich technisch aus. Wie funktioniert denn dieses System?
Peter:              Perfekt! (lehrerhaft, überbetonend)  Auf dem Mes-se-stand ist dein Mes-se-wa-gen ausgestellt. In den wurde eine Kamera eingebaut. Dein magisches Auge, das alles auf diesen Bildschirm überträgt. Sobald der Mes-se-be-su-cher vom NM-Mes-se-stand in deinen NM-Mes-se-wa-gen steigt, siehst du ihn. Er sieht dich aber nicht. Die Bildauflösung ist messe-messer-scharf. (Peter lacht.) Du kannst selbst das Muster der Krawatten erkennen. (leise) Pass auf, jetzt steigt einer ein.
Öffnen einer Autotür, Geräusche der Automesse, Zuschlagen einer Autotür, Rascheln von Stoff auf Leder, Atmen. Öffnen einer Autotür. Geräusche Automesse, Zuschlagen einer Autotür, Stille.
Laura:             Der ist schon wieder weg?
Peter:              Du hättest ihn sofort ansprechen müssen.
Laura:             (belustigt) Sind alle Leute auf dem Kopf und in Grün? Dieser Typ sah eher wie ein Astronaut aus! Nicht gerade wie ein Autofahrer.
Peter:              Ein leichter Übertragungsfehler, aber das Mikro ist spitze. Du hörst jede ihrer kleinsten Bemerkungen.
Laura:             Hast du schon Besucher bespitzelt?
Peter:              Im Messelärm ziehen sich Paare, Freunde und Geschäftspartner gerne in den Wagen zurück. Autos werden schnell zu Telefonzellen für Handybenutzer. (vertraulich) Auf einmal wirst du Zeuge intimer Gespräche oder zwielichtiger Verhandlungen.
Laura:             Wie aufregend!
Peter:              (streng) Du musst dich sofort zu erkennen geben! NM ist ehrlich, auf NM ist Verlass!
Laura:             Ja, ja. Worüber sprichst du denn mit den Einsteigenden?
Peter:              Du kannst über alles sprechen, was dir einfällt. Direkt-einspritzung, Versicherungseinstufung, Emissionsreduzierung. Fällt dir einmal nichts ein, kannst du einen Blick auf diese Listen werfen.
Papierblättern
Kleiner Hinweis: Wegen des Mikros ist panisches Blättern unvorteilhaft. Die meisten technischen Details kennst du sowieso. Hubraum, maximales Dreh-moment und und und. Du kannst dich auch einfach über die Automatik der Scheinwerferselbstreinigung unterhalten.
Laura:             Aha.
Peter:              Interessierst du dich denn nicht für Autos?
Laura:             (gleichgültig) Doch, doch. Ich habe nur keinen Führerschein und fahre selbst eigentlich Fahrrad. Worauf soll ich noch achten?
Peter:              Du musst die Leute, die in die ausgestellten Autos einsteigen, emotionalisieren. Sie müssen mit dir als Auto etwas Schönes erleben. Etwas Einmaliges. Aufgepasst: Du darfst keine Verkaufsgespräche führen. Gekauft wird nicht, wenn man verkaufen will. Gekauft wird nur, wenn man mensch-lich ist. Menschlichkeit steht auf Platz eins. Das ist das A und O von A bis Z. Das Antiblockiersystem und Ottomotorgetriebe von Abgasnorm bis Zündzeitpunkt.
Laura:             Ich bin dann das Auto?
Peter:              Du stellst dich einfach vor: „Hallo, ich bin das Auto!“ und sprichst dann über dich – als Auto. Durch die NM-Schulung ist dir bestens bekannt, wie NM-markenkonform du zu argumentieren hast. NM-Autos stehen für Sicherheit und nochmals Si-cher-heit. Also: keine Sperenzien von Ferrari oder Alfa Romeo. (Peter lacht.)
Laura:             Aha!
Peter:              Sicherheit heißt asexuell, asexuell heißt Sicherheit. Ganz seriös musst du sein. Du verkörperst schließlich d a s deutsche Markenauto und keine italienische Zuhälterkarre.
Laura.             (belustigt) Sehr seriös, wenn ich denen erzähle, ich bin ein Auto!
Peter:              Gefällt dir diese Arbeit etwa nicht?
Laura:             Doch, doch. Ich habe gerne mit Menschen zu tun und brauche auch dringend Geld.
Peter:              Willst du endlich deinen Führerschein machen?
Laura:             Nein, nein. Nächsten Monat muss ich aus meiner Wohnung …
Peter:              Wenn du eine positive Stimmung verbreitest, wenn du überzeugt bist, dann glauben Messebesucher sofort an dich – das NM-Auto. Die Arbeit muss dir vor allem Spaß machen. Du musst gute Laune haben! Hier, (Aufstellen eines Spiegels)  ich stelle dir einen Spiegel auf. Du solltest beim Sprechen immer überprüfen, ob du ein Lächeln auf den Lippen hast. Ob du lächelst oder nicht, hört man sofort deiner Stimme an.
Laura:              (mit lächelnder Stimme) Ich bin ein Auto, ein Auto, ein Auto. Ich fahre, also bin ich.  
Peter:              Atmen. Das Atmen nie vergessen. (Peter lacht.) Die Arbeit wird dich einfach mitreißen. Du wirst begeistert sein und nicht mehr aufhören können. Mir passiert es oft, dass ich meine Pausen vergesse, ohne es zu merken.
Laura:             Wirklich?
Peter:             Manche Messebesucher wissen nicht einmal, mit welchem Shampoo sie meinen Verloursboden am besten reinigen oder warum jetzt in einem meiner Ottomotoren der Schichtladebetrieb vom Dieselmotor verwendet wird. Bei derartigen Fragen kommt natürlich Freude auf.
Laura:             Wollen manche Besucher sich nicht einfach nur das Auto ansehen?
Peter:              Die lassen sich gerne überraschen und freuen sich, wenn jemand mit ihnen ein paar Einheiten redet. Übrigens, ein Durchschnittsgespräch sollte achteinhalb Minuten dauern.
Laura:             (ironisch) Achteinhalb Minuten? Und wenn die keine Lust haben so lange mit mir zu sprechen?
Peter:              Was ist das denn für eine Grundeinstellung?
Laura:             Jemand könnte meine Stimme unsympathisch finden. Ich könnte an die Ex-Frau oder eine Physiklehrerin erinnern.
Peter:              NM hat im deutschsprachigen Großraum telefonisch alles rauf- und runtergecastet, um deine offene, lebendige Stimme für eine offene, lebendige Stimmung zu finden. Von allen deutschen, schweizerischen, österreichischen Frauen musst du jene sein, die am sympathischsten klingt.
Laura:             Anscheinend.
Peter:              Du wurdest unter Hunderten ausgewählt. Dank deiner Stimm-bänder bist du die NM-Sympathieträgerin. Sonst dürftest du niemals d i e weibliche NM-Autostimme sein. Du bist NM-auto-stimmen-tauglich. Du bist der Sound des NM-Leitbilds: klar, menschlich und zuverlässig!  Du hast nur Lampenfieber. Aufgepasst: Nur für dich führe ich jetzt ein kleines Muster-gespräch: „Hallöchen, ich bin das sprechende Auto!“ „Das ist ja eine schöne Überraschung!“ „Fühlen Sie sich wohl auf meinem Sitz?“ „Ja, ich sitze hier besser als auf meinem Sofa!“ „Wahrscheinlich verbringen Sie auch mehr Zeit im Auto als Zuhause!“ „Woher wissen Sie das?“ „Weil ich Ihr Auto bin!“ (Peter lacht.) Und dann lege ich mit all dem technischen Schnickschnack los. (liebevoll) Soll ich erste Hilfe für dein erstes Gespräch leisten? Soll ich deine Kabine mitbesetzen?
Laura:             Danke, ich schaffe das alleine.
Peter:              Und vergiss nicht, du kannst neben Musik auch Geräuschkulissen einspielen. Für Fahrten ins Blaue und Grüne Bach-plätschern und Waldrauschen. Viel Spaß. Gib Gas, gib dem Auto einfach deine Seele.
Schließen der knarrenden Holztür. Lautes Ausatmen von Laura.
Öffnen einer Autotür. Geräusche der Automesse (Animationen, Menschenmassen). Einsteigen von Jupp.
Laura:             (mit neutraler, freundlicher Stimme) Schließen Sie bitte die Tür.
Jupp    :           Schnauze!
Schließen einer Autotür. Ende der Messegeräusche.
Laura:             (mit sachlicher Stimme) Ich habe keine Schnauze, sondern eine Vorderfront. Ich bin ein Auto.
Jupp:               Halt die Fresse!
Laura:             Ich habe keine Fresse, sondern eine Vorderfront.
Öffnen einer Autotür. Messegeräusche.
Jupp:               Tom, setz dich mal rein. Die Kiste quatscht!

Taubenblau – eine Tragikomödie

für 5 D + 1 H, 1 Dek.:
Simin Weber – Botschaftergattin / Gerhard Weber – Botschafter / Valeria – Hausangestellte / Sabine Mettlich – Simins Schulfreundin, Psychologin / Franziska Mau – Kultur-Journalistin / Eva Blond – Politik-Journalistin

UA: Blondeau Theater HEC Jouy-en-Josas, Regie: Christine Velan, Mai 2005
Vorstellung in deutscher Sprache, französische Übertitelung

Taubenblau ist eine im Botschaftsmillieu angesiedelte Tragikomödie, die die Widersprüchlichkeiten dieses Umfelds thematisiert. Sie stellt dem diplomatischen Schein des Botschafters das exaltierte, politisch inkorrekte Verhalten seiner Gattin gegenüber.

Hauptfigur ist Simin Weber, die Gattin des deutschen Botschafters in Paris, die mit ihrer repräsentativen Rolle nicht zurechtkommt. Auf der einen Seite muss sie die so genannte deutsche Leitkultur im Ausland repräsentieren. Auf der anderen Seite wird sie wegen ihres exotischen Aussehens fälschlicherweise für eine Türkin gehalten. Sie hat einen deutschen Pass. Ihr Vater, den sie nie gekannt hat, war Perser. Simin versteckt sich hinter einem menschenverachtenden, arroganten Verhalten. Sie hasst die ihr zugeschriebene Aufgabe, kann sich jedoch nur über ihren sozialen Status definieren. Ihre Ehemann Gerhard Weber, der die diplomatischen Codes verinnerlicht hat, erweist sich im Privartleben als Choleriker. Sobald Gäste auftauchen, gibt es das von ihm verlangte Bild ab und vertritt Deutschland. Er spricht wie ein Reiseführer…

Glück unter Palmen – eine Tragikomödie

für 3 Frauen, 2 Männer

UA: Schauspielhaus Wien, Montagsloch 1997

Magda (Mutter) – Chris Lohner
Barbie (Tochter) – Eva Spreitzhofer
Iwan (müder Sohn) – Clemens Haipl
Jakob Band (Organmakler) – Gerhard Votava
Monika (Talkmasterin) – Thomas Jonigk

Magda hat ihr Leben fest im Griff. Raumsprays und mannshohe Palmenimitate verwandeln selbst eine vergilbte Einzimmerwohnung mitten im Industriegebiet in ein stattliches Eigenheim. Dass ihr Sohn die Samenspende verweigert und sich auf seiner Matratze herumlungernd dem gemeinsamen Lebensglück verschließt, kann sie ebensowenig betrüben wie die Tatsache, dass die Haupteinnahmequelle der Familie, das Spenden von Blutplasma, allmählich an den körperlichen Substanzen zehrt. Erst als ihre Tochter Barbie, Testerin von Instantsuppen, mit einem Organmakler durchbrennt, droht das familiäre Gefüge ins Wanken zu geraten.